1. Einleitung

„Die Medizin zählt gewiß zu den ältesten Errungenschaften der menschlichen Kultur und Wissenschaft. Durch Jahrtausende hat sie dem Menschen gedient, seinen Weg durch die Geschichte begleitet, sich dabei gewandelt, verändert und stets erneuert. Die schon so alte Medizin wird immer jung sein, solange der Mensch sie braucht. Solange es Menschen gibt, wird es Medizin geben. Denn die vom Menschen für den Menschen geschaffene Medizin ist die Antwort auf eine elementare Seinsweise des Menschen, mit der er immer schon konfrontiert war und es auch in Zukunft sein wird: wir nennen sie Kranksein.“[1]


Krankheit als elementare Erfahrung, die das Menschsein seit seinen Anfängen begleitet, spiegelt sich in materiellen, ikonografischen und literarischen Überlieferungen wider. Diese Quellen eröffnen interdisziplinäre Zugänge, welche sowohl medizinhistorische als auch kulturwissenschaftliche Forschungsansätze ermöglichen. Zugleich zeigt sich darin die bemerkenswerte Wandlungsfähigkeit der historischen Wahrnehmung von Krankheit, die aus der Vielfalt menschlicher Deutungsmöglichkeiten und kollektiver Reaktionsweisen resultiert und sich stets in der Perspektive der Beobachtenden reflektiert.[2]

In Anlehnung an die im Jahr 2003 erschienene Untersuchung von Jankrift über „Krankheit und Heilkunde im Mittelalter“ ist die vorliegende Arbeit entstanden. Dabei nimmt die folgende Ausführung eine thematische Eingrenzung vor, indem sie sich auf die Klostermedizin konzentriert und das Lorscher Arzneibuch als zentrales Schriftzeugnis untersucht. Dieser inhaltliche Schwerpunkt wurde gewählt, da dieses Schriftzeugnis aus dem 8. Jahrhundert, wie Fischer postuliert, einen distinktiven Bedeutungsgehalt für die Heilkunde unter Karl dem Großen und somit im karolingischen Zeitalter besitzt.[3] Diese herausragende Handschrift wurde bereits zu Beginn der 1990er-Jahre von Keil, Schnitzer und Stoll eingehend betrachtet; ihre Erkenntnisse bilden daher die Grundlage der vorliegenden Untersuchung über das Lorscher Arzneibuch. Vor dem Hintergrund einer digitalen Annäherung an mittelalterliche medizinische Schriftkultur im Rahmen der Übung „Historische Hilfswissenschaften im digitalen Zeitalter“ stellt sich die grundlegende Frage, wie die Erschließung und Aufarbeitung solcher Handschriften digital erfolgen kann und in welcher Weise dadurch der Zugang zu derartigen Quellen verändert oder gar verbessert werden kann. Damit knüpft diese Arbeit ferner an den Beitrag Habers aus dem Jahr 2011 an, welcher untersuchte, wie sich die historische Forschung im digitalen Zeitalter gewandelt hat. [4]

Digitale Bestände bieten neue Möglichkeiten der Analyse, da sie das Textmaterial zugänglich machen für die Partizipation und Rezeption eines breiten, oftmals auch fachfremden Personenkreises. Nach Haber führt dies nicht zuletzt auch „zu einer Neubewertung des Verhältnisses von Medien und Geschichte“[5] sowie der „Frage nach der Öffentlichkeit“[6] in der Historiografie. Wie der Historiker weiter ausführt, würde nämlich „ein Weblogeintrag eine andere [Öffentlichkeit]“[7] erreichen als ein Beitrag in einem wissenschaftlichen Fachjournal. So werden auch durch die Staatsbibliothek Bamberg bereits ausgewählte Handschriften in digitaler und öffentlicher Form bereitgestellt, darunter auch das Lorscher Arzneibuch einschließlich einer Transkription durch Ulrich Stoll. Die vorliegende Arbeit nutzt diese digitale Ressource, um die Handschrift in ihrem medizinhistorischen Kontext zu analysieren und zu interpretieren. Von besonderem Interesse ist dabei, welche Möglichkeiten digitale Präsentationsformen eröffnen und inwiefern die Digitalisierung den Zugang zur Paläographie, als Bestandteil der historischen Hilfswissenschaften, verändert. Die gewonnenen Erkenntnisse werden daher exemplarisch auf dieser HTML-Seite (Hypertext Markup Language)[8] aufbereitet, um die internetbasierte Darstellung historischer Inhalte zu demonstrieren; denn wie Wachter betont, vertieft der Hypertexte „konstruktiv die historiografischen Ausdrucksmöglichkeiten“[9] und überschreitet somit „die Begrenzungen des Drucktextes“[10]. Zusätzliche Weblinks zu einschlägigen digitalen Beiträgen werden ebenfalls auf dieser Seite zur Verfügung gestellt.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen ist diese Arbeit wie folgt gegliedert: Die Darstellung beginnt mit einer Einführung in die Thematik im Rahmen der Übung „Historische Hilfswissenschaften im digitalen Zeitalter“ im Wintersemester 2024/25 der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Dabei wird zunächst auf die Paläographie als Teildisziplin der historischen Grundwissenschaften sowie auf die Digitalisierung innerhalb der Geschichtswissenschaft auf einer Makroebene verwiesen (2. Abschnitt). Der dritte Abschnitt widmet sich der Heilkunde im Mittelalter und untersucht anhand des Lorscher Arzneibuchs exemplarisch das medizinische Schrifttum jener Zeit (3. Abschnitt). Abschließend werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert (4. Abschnitt).




[1] Toellner, 1986, S. 11.

[2] Jankrift, 2012, S. 1; zu „Kranksein als existentielles Phänomen“ im Mittelalter, vgl. Schipperges, 1990, S. 19–21.

[3] Fischer, 2010, S. 166; vgl. Jankrift, 2016, S. 14.

[4] Haber, 2011, S. 7; der Ausdruck „digitales Zeitalter“ wie er sowohl im Namen des Titels dieser Hausarbeit als auch die Bezeichnung der Übung ist, bezeichnet Haber „als Chiffre für einen Wandel in den letzten Jahren, der mit Digitalisierung oder Informatisierung nur teilweise umschrieben ist. Gemeint ist die zum Teil tiefgreifende, zum Teil vordergründige Veränderung im Ablauf und in den einzelnen Schritten der ,historiographischen Operation‘, wie Michel de Certeau es genannt hat“ (ebd.).

[5] Ebd., S. 139.

[6] Ebd.

[7] Ebd.; vgl. zu Public History: Döring et al., 2022, S. 7.

[8] Zum wissenschaftlichen Diskurs über die Nutzung von Hypertext in der historischen Forschung, vgl. Wachter, 2021, S. 29–30.

[9] Ebd., S. 207.

[10] Ebd., S. 22.