UrkundenźbergabeRingvorlesung: Zeichen 27. Mai 2002

Siegel: Material, Ikonographie, Befestigung

 Das verbreitetste Mittel der Beglaubigung von Urkunden ist die Besiegelung. Die Wiedergabe des Siegelbildes durch Prägung einer Siegelmasse mit Hilfe eines Siegelstempels, des Typars , oder eines Siegelrings oder Petschaft erfolgt im Grunde solange, bis Gummistempel eingeführt werden, obwohl auch dafür in der Amtssprache die Bezeichnung "Dienstsiegel" gebräuchlich ist. Im Bereich persönlicher Dokumente und akademischer Urkunden ist daneben auch das Prägesiegel noch in Gebrauch, wobei moderne Behörden allerdings kein Wachs mehr verwenden.
 Im Mittelalter war Wachs die Hauptsiegelmasse, die natur oder in verschiedenen Färbungen verwendet wurde, wobei die Farben meist nicht einer besonderen Rechtsnatur zuzuordnen sind. In der Neuzeit wird Wachs vor allem auf Briefen und kleineren Dokumenten durch Siegellack ersetzt, der sich von der iberischen Halbinsel aus in Europa verbreitete. Daneben tritt seit dem 14.Jahrhundert das Papiersiegel, d.h. die Prägung eines Papierblättchens, das zunächst mit einer dünnen Wachsschicht, später mit Oblaten auf der Urkunde befestigt und dann geprägt wurde. Daher bezeichnen wir diese Art auch als Oblatensiegel. (Anm. 1) Begünstigt wurde die Verbreitung dieser Besiegelungsform durch die zunehmende Verwendung von Papier als Beschreibstoff für Urkunden. (Anm. 2)

  Bei der Gestaltung des Siegelbildes kann man grundsätzlich von zwei Arten ausgehen : der Darstellung des Siegelführers — ohne daß dabei ohne weiteres Portraitähnlichkeit erwartet werden kann — bei individueller geprägten Siegeln oder der Darstellung von Symbolen, z.B. Heiligen, Patronen, anderen Abzeichen oder Symbolen bei denjenigen, die den institutionellen Charakter ihres Amtes in den Vordergrund rückten. Den Verzicht auf die Individualisierung finden wir auch bei den Siegelführern, die in der sozialen und gesellschaftlichen Hierarchie keinen hervorragenden Platz einnahmen.
 In der ersten Gruppe finden wir vor allem die Könige und Kaiser, andere weltliche Herren, daneben auch Bischöfe , in der zweiten Gruppe vor allem den Papst, der zwar seinen Namen auf der Bulle angibt, ansonsten aber — seit Paschalis II. bis in die Gegenwart — die Köpfe der Apostelfürsten Petrus und Paulus als bildliche Darstellung verwendet , vom Beginn des 13. Jh. an auch die Kardinäle, früher schon andere kirchliche Institutionen und insbesondere die Städte und Kommunen.
 Die individuelle Form schließt allerdings nicht aus, daß man sich einer typisierten Ikonographie bedient wie etwa der Darstellung eines Reiters mit Fahne auf den Siegeln von Herzögen. Die Darstellungen auf einem Siegel können verschiedener Art sein, im späteren Mittelalter finden zunehmend heraldische Motive Anwendung.
In karolingischer und auch noch zu Beginn der ottonischen Zeit fanden teilweise spätantike Gemmen Verwendung, dann wurde die Darstellung des Herrschers mit Herrschaftsattributen üblich. Den Höhepunkt dieser Entwicklung bildet die Darstellung des thronenden Herrschers im Maiestas-Typ.
 Auf Metallsiegeln mußten zwei Seiten gestaltet werden. Dabei können stark traditionsbezogene Motive benutzt werden. Im Falle der Rückseite der päpstlichen Bleibulle mit der Abbildung der Köpfe der Apostelfürsten Petrus und Paulus wird der Siegelstempel auch über die Dauer eines Pontifikats hinaus verwendet, während die Vorderseite mit dem Papstnamen , papa und Ordnungszahl jedesmal neu zu gestalten war. Dieser Brauch wurde über Jahrhunderte beibehalten, dem Versuch Pauls II., an Stelle des Papstnamens das Bild eines thronenden und Audienz haltenden Papstes zu setzen, war kein dauerhafter Erfolg beschieden.
 Christusdarstellungen und Heilige sind oft auch auf der Rückseite von Bleibullen , die von Herrschern in Süditalien verwendet wurden, zu finden. Dabei kommen dort ebenfalls Aufschriften nach dem Gebrauch der Gegend in griechischer Sprache zur Anwendung. Dies ist wohl als gewisse Anlehnung an byzantinische Modelle zu interpretieren. Es ist nicht weiter verwunderlich, daß bei institutionellen Siegelführern bald auch Regeln für die Gestaltung des Siegels und des Siegelbildes festgelegt wurden. So hat das Generalkapitel der Zisterzienser im Jahre 1200 Vorschriften über das Aussehen von Siegeln erlassen und dabei festgelegt, daß die Äbte des Ordens ein einfaches Bild mit dem Stab, der Konvent ohne effigies mit Hand und Stab auf dem Siegel führen sollten .
 Zur Verwendung von Goldbullen an Urkunden
 Die Besiegelung der Urkunden im Mittelalter hatte vorwiegend den Charakter einer Beglaubigung, konnte sich aber wie im Falle der Goldsiegel auch mit anderen , meist protokollarisch-repräsentativen Zwecken verbinden . Die Verwendung von Metallsiegeln ist allerdings zunächst eine Charakteristik des mediterranen Raumes, obwohl hier, und dies gilt in besonderem Maße auch für Italien, die Verwendung von Wachssiegeln zumindest in den germanisch beeinflußten Gebieten durchaus geläufig ist. Ganz ohne Besiegelung kommt das von einem öffentlich autorisierten Notar geschriebene Instrument aus, das auf dem Gebiet der Privaturkunde in Italien eine dominierende Rolle spielt .
Die bekannteste Form des Metallsiegels ist die Bleibulle, die durch ihre Verwendung in der Kanzlei der Päpste im ganzen christlichen Abendland eine bekannte Erscheinung war . Angewandt wurde sie auch von den normannischen Herrschern in Unteritalien und Sizilien, den venezianischen Dogen und von den aragonesischen Königen, wobei in der Regel Seidenfäden zur Befestigung benutzt wurden . Sehr selten sind Silberbullen , etwas häufiger finden wir Goldbullen, von denen 68 in der Sammlung des Vatikanischen Geheimarchivs enthalten sind , das heute über die meisten Exemplare an Goldbullen verfügt . Ausgangspunkt für die Anwendung von Metallsiegeln auch im Okzident ist die Gewohnheit der oströmischen Kaiserkanzlei und der von ihr beeinflußten Beurkundungsstellen , z.B. der byzantinischen Beamten und der griechischen Bischöfe, Metallsiegel unter Verwendung verschiedener Metallsorten zu benutzen. Jedoch ist dabei zu bedenken, daß der Beglaubigungscharakter des Siegels im byzantinischen Reich zumindest im Frühmittelalter oft überhaupt nicht vorhanden war . Die Verhältnisse ändern sich hier erst nach den fränkischen Eroberungen, d.h. nach dem IV. Kreuzzug. Gerade die Goldbulle stellte eine Ehrung für den Empfänger dar. Sie wurde der Urkunde zunächst beigelegt und in ihrem Gewicht nach der Stellung des Empfängers im byzantinischen Reichs- und Hofprotokoll bemessen. Darüber besitzen wir das Zeugnis des KONSTANTIN PORPHYROGENNETOS (905-959) in seinem berühmten " Zeremonienbuch" , das gewissermaßen eine Tarifliste der byzantinischen Goldbullen enthält. Später ist allerdings auch in Byzanz eine Standardisierung eingetreten. Daneben waren noch, wenn auch selten, Silberbullen in Verwendung und für einfachere Dokumente und in den Beamtenurkunden die Bleibullen.
Die Briefe byzantinischer Kaiser an die Päpste im zwölften Jahrhundert wiesen keine Besiegelung auf; sie waren auf Purpurpergament mit Goldschrift geschrieben, womit man der Feierlichkeit Genüge getan zu haben annahm . Eine erste byzantinische Goldbulle im päpstlichen Archiv finden wir an der Urkunde mit dem Glaubensbekenntnis MICHAELS VIII. PALAIOLOGOS von 1277. (weitere Goldbullen im Archiv, Anm.3)
 Byzantinisch ist auch der eigentliche Ursprung der päpstlichen Bleibulle. Die normannischen Herrscher Unteritaliens und Siziliens haben sich ebenfalls ganz auf die byzantinische Metallsiegeltradition gestützt, sich zunächst vorwiegend auf Bleibullen beschränkt, aber dann in der Königszeit eine größere Zahl von Dokumenten mit Gold besiegelt, worunter auch der Vertrag zwischen der römischen Kirche und Wilhelm I. von Sizilien von 1156 war, dessen Originalurkunde noch erhalten ist, aber die Goldbulle verloren hat. Entsprechendes hat für die heute auch im Wortlaut verlorenen Vereinbarungen Wilhelms II. mit dem Papst und für den im Text erhaltenen Vertrag zwischen Cölestin III. und König Tankred von Sizilien Geltung. Diese Verluste sind auch noch für eine weitere Reihe von vor allem älteren Pergamenten eingetreten , weshalb die Sammlung des Vatikanischen Archivs erst mit der Zeit Barbarossas einsetzt, obwohl die römischen Kaiser bereits früher Goldbullen, auch an ihren Urkunden für die Päpste, verwendet hatten . Seit der späten fränkischen Zeit ist die Verwendung von Goldbullen durch die fränkischen bzw. deutschen Kaiser des Mittelalters bezeugt . Das älteste erhaltene Original einer Goldbulle eines Kaisers der Römer befindet sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien. Es handelt sich dabei um ein Privileg Heinrichs II. für das Stift Göß in der Steiermark von 1020 .
Die ältesten Originale von Goldbullen im Archiv der Römischen Kirche finden sich allerdings nicht an Urkunden der Kaiser, die für den Papst ausgestellt wurden, sondern an Diplomen der staufischen Kaiser Friedrich I. und Heinrich VI. für den Pfalzgrafen Hildebrand von Tuszien, die zusammen mit deren Besitz später an die Kirche gefallen sind. Auch die kaiserliche Goldbulle Ottos IV. von 1210 war ursprünglich im Archiv der tuszischen Pfalzgrafen.

© Horst Enzensberger 2002
Letzte Änderung am 5. Dezember 2003