Die Historischen Hilfswissenschaften, vor allem die grundlegenden Disziplinen Paläographie und Diplomatik, daneben aber auch Epigraphik, Siegelkunde oder Heraldik, waren schon von ihren Anfängen an in besonderem Maße auf die Hilfe von Abbildungen angewiesen, die man zunächst mit den jeweiligen Mitteln der Zeit anfertigte: Nachzeichnungen, Holzschnitt und Kupferstich, auch das Durchpausen war ein beliebtes, weil relativ genaues Mittel. Der Abklatsch von dazu geeigneten Inschriften wird heute noch verwendet und Siegelabgüsse gehören zum Angebot vieler Archive für ihre Benutzer.
Die Erfindung der Photographie brachte für die Handschriftenforschung und die Diplomatik ungeahnte Möglichkeiten des Vergleichs weit entfernter Exemplare und und somit einen erheblichen Fortschritt in der Kritik. Dies wurde etwa von dem Begrüder der modernen Byzantinistik, dem Münchener Professor Karl Krumbacher, in einem eigenen Aufsatz methodisch gewürdigt.


Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wurden teils aufwendige Tafelwerke erstellt, die anfangs auch im akademischen Unterricht ihren Platz fanden. Besonders gut waren Lichtdrucktafeln, einige dieser Veröffentlichungen sind heute noch unverzichtbare Standardwerke [und werden daher digitalisiert]. In der Lehre führten moderne Kopiertechniken vor allem zu einer erheblichen Kostenersparnis, zumal diese Verfahren in ihrer Qualität ständig verbessert wurden. Farbkopie und Folie bedeuteten einen weiteren Fortschritt. Und Faksimileausgaben von Handschriften haben zwar vielfach prohibitive Preise, aber es gibt auch eine ganze Reihe erschwinglicher und dennoch qualitativ ausreichender Angebote. Auch hier dürfte der Einsatz von Digitalisaten zukünftig zunehmen, obwohl die Anfaßbarkeit des Originals oder der Faksimilenachbildung eine durch den Bildschirm nicht zu ersetzende Erfahrung ist.
Nicht alle Verlage haben aber die Zeichen der Zeit bereits erkannt: trauriges Beispiel für kurzsichtige Geschäftspoltik ist die elektronische Version zum Durchblättern der Bamberger Apokalypse, die auf der Ausstellung benutzt werden konnte, aber nicht zum Verkauf bestimmt war.


Die Digitalisierung von Bildern bedeutet nun einen weiteren Qualitätssprung. Daß die Digitalisierung von Originalen dabei vorzuziehen ist, versteht sich von selbst. Die von der DFG geförderten Digitalisierungszentren (eines bei der Bayerischen Staatsbibliothek in München) sollten sich vor allem dieser Aufgabe widmen, stehen teilweise aber erst am Anfang ihrer Arbeit.
Digitalisate von vollständigen Handschriften oder Urkundenbeständen sind auch aus konservatorischen Gründen zu begrüßen, reduzieren sie doch die konkrete, physikalisch und chemisch auf das Objekt einwirkende Benutzung auf ein wissenschaftlich unbedingt notwendiges Maß. Ferner ist es nun möglich, Informationen, sofern sie ins Netz eingespeist sind, von fast jedem beliebigen Punkt der Erde abzurufen und zu verarbeiten. Archiv- und Bibliotheksreisen lassen sich besser vorbereiten und in ihrem Umfang reduzieren.
Bayern hat hier allerdings einen erheblichen Nachholbedarf :: die Staatsbibliothek in München gehört zwar zu den Top Ten unter den Handschriftenbibliotheken der Welt, verfügt aber nicht einmal über eine umfassende moderne Erschließung durch gedruckte Kataloge. Auch das Angebot im Internet nutzt die Möglichkeiten des Mediums in keiner Weise aus! [Nachbemerkung 2008: Inzwischen hat sich die Situation deutlich verbessert, mit Bildern aus Handschriften ist die BSB immer noch zurückhaltend, während die Inkunabeln mit Illustrationen besser erschlossen sind]
Die Staatsbibliothek in Bamberg besitzt zwar einen numerisch nur kleinen, wenn auch außerordentlich bedeutenden Bestand an Handschriften und Inkunabeln, ist jedoch in der Netzdarstellung unter den bayerischen Sammlungen an den ersten Platz zu setzen, obwohl die Bildqualität der gebotenen Handschriftenbeispiele sicher noch verbessert werden kann. Sie bietet aber auch ergänzende Informationen zu denen, die in den gedruckt vorliegenden Katalogen zur Verfügung stehen.
Zu den bemerkenswerten Angeboten zählen dagegen die digitalisierten Handschriften aus Kopenhagen, Oxford(dazu noch eine Auswahl spätmittelalterlicher Handschriften der Bodleian Library), die tausend Seiten mit Miniaturen aus spätmittelalterlichen Handschriften der Bibliothèque Nationale zu Paris oder das Stadtarchiv Duderstadt, ein vom Max-Planck-Institut für Geschichte gefördertes Pilotprojekt. Auch Katalogdatenbanken spielen zunehmend eine Rolle, hier sind immerhin an deutschen Gemeinschaftsprojekten die "Manuscripta Mediaevalia" auf dem Server von Foto Marburg und die "Mittelalterlichen Handschriften" beim Ehemaligen Deutschen Bibliotheksinstitut zu registrieren, an denen kontinuierlich gearbeitet wird. [Nachtrag 2008: Das Institut wurde abgewickelt, die Informationen konnten in die Datenbank von Manuscripta Mediaevalia gerettet werden.]

Weitere Informationen über das Netzangebot, insbesondere die Präsenz von Handschriftenbibliotheken, finden auf den von mir mit betreuten Seiten der VL Geschichte - Historische Hilfswissenschaften, hier vor allem in der Unterabteilung Kodikologie & Handschriftenkunde.
© Prof. Horst Enzensberger 2001. Letzte Änderung 26. Feb 2008