UrkundenźbergabeRingvorlesung: Zeichen 27. Mai 2002

Der Zeichencharakter der Urkunde

Aus dem langobardisch - griechischen Süditalien stammen Berichte, wie in normannischer Zeit die lokalen Beamten in Apulien auf ein Mandat, d.h. einen schriftlichen Befehl des Königs aus dem fernen Palermo, die als sacrae litterae bezeichnet werden reagierten: allerdings wird in der Formulierung der Urkunde, in die der Auftrag meist wörtlich inseriert wurde, auf die Einzelheiten nicht eingegangen. Das dürfte damit zu erklären sein, daß derartige rituelle Handlungen den zeitgenössischen Leser bzw. Hörern der Urkunde vollauf vertraut waren und einer näheren Erklärung nicht bedurften, was andererseits aber unsere Interpretation nicht immer erleichtert. Deutlich wird jedoch, daß auch das römische Recht die Zeichenhaftigkeit kennt.
Daß das mittelalterliche Recht, welchen Ursprungs auch immer, auf Zeichen und Symbole geradezu angewiesen ist, ist die wesentliche Voraussetzung für Symbol und Zeichen in der mittelalterlichen Urkunde. Die Befunde sind dann allerdings nach Ort, Zeit und Urkundenkategorie unterschiedlich. Festgehalten werden soll jedoch sofort, daß sie besonders dazu die dienen, die Beteiligung des Urhebers an der Urkunde für alle evident zu machen.
In der griechischsprachigen Welt finden wir bereits einen Ausdruck, der sich auf den möglichen Zeichencharakter beziehen läßt: semioma ( Σημειωμα), dessen Ableitung von semeion (σημειον) “ Zeichen” unschwer zu erkennen ist. Damit werden bereits in den griechischen Papyri aus Ägypten solche Stücke bezeichnet, die in der lateinischen Terminologie des späten römischen Reiches als “notitia ” deklariert werden, also die Nachricht über ein Rechtsgeschäft enthalten, im Gegensatz zur “carta ” nicht das Rechtsgeschäft als solches begründen .
Auf die enge Verknüpfung von Rechtshandlungen mit Zeichen sollte hier nur im Vorübergehen hingewiesen werden. Allerdings wird das Stück Pergament, die Urkunde, bisweilen selbst zum Zeichen für ein Rechtsgeschäft, wie wir aus dem Bereich der südostdeutschen Tradtionsnotizen wissen: der Zettel mit der Aufzeichnung konnte etwa auf dem Altar, gegebenenfalls auch auf dem tragbaren Altar, den Beauftragte der meist klösterlichen Empfänger mit sich führten, deponiert werden zum Zeichen der Besitzauflassung. Noch Jahrhunderte später finden wir in einem ganz anderen geographischen Raum, der römischer Rechtstradition fast ohne erkennbare Brüche verbunden war, bei den Zeugenunterschriften Reflexionen über die Zeichenhaftigkeit.

© Horst Enzensberger 2002
Letzte Änderung am 6. Dezember 2003