UrkundenźbergabeRingvorlesung: Zeichen 27. Mai 2002

Von der Schrift zum Zeichen

Unterschriften:
 Im Schlußteil (Eschatokoll) von Urkunden können Unterschriften auftreten, die einerseits die beteiligten Mitglieder der Kanzlei erkennen lassen, zum anderen aber auch die Möglichkeit der Beteiligung des Urkundenausstellers bieten. Ferner können auch Zeugen mit eigenen Unterschriften vertreten sein.
 Im Bereich der Königsurkunde ist die Namensunterschrift in karolingischer Zeit durch das Monogramm ersetzt worden, das mit dem Vollziehungsstrich immerhin ein Mindestmaß an Beteiligung des Ausstellers ermöglichte.
In Byzanz war der Basileus mit der eigenhändigen Eintragung von Rotworten, dem Menologem, an den Urkunden beteiligt. Auf den feierlichen Privilegien, den Chrysobulla (Χρυσοβουλλοσ λογοσ ) findet sich auch die kaiserliche Namensunterschrift mit dem Autokrator - Titel.
In den päpstlichen Urkunden hatte ursprünglich das Benevalete die Funktion des persönlichen Eintrags. Während der Entwicklung der Privilegienform unter dem Reformpapsttum wird das Benevalete zum Monogramm, zwischen Rota, einem Zeichen, das Papstname, Ordnungszahl und Devise enthält, und Benevalete findet die Unterschrift des Papstes ihren Platz, bald gefolgt von den Unterschriften der Kardinäle, nach den Ordines gruppiert (Beispiel Alexanders III.). Dabei unterschreiben die Kardinalbischöfe in der mittleren Reihe unter dem Papst, in der linken Spalte unterfertigen die Kardinalpriester, in der rechten die Kardinaldiakone. Eine eigenhändige Beteiligung, allerdings unterschiedlichen Umfangs, ist dabei sichergestellt.
Im späteren Mittelalter tritt , nach dem Zwischenspiel der griechischen Unterschrift Rogers II. von Sizilien, zunächst im angiovinischen Süditalien die Namensunterschrift des Herrschers wieder auf , in der Reichskanzlei erst vereinzelt unter Friedrich III., der diesen Brauch aus seiner Zeit als Herzog der Steiermark übernahm, regelmäßig dann mit Maximilian I. , sowie unter seinem Nachfolger Karl V. ( Carolus ) , während die aragonesische Praxis im 15. Jahrhundert zwar auch die Unterschrift des Königs kennt, aber nicht immer in der Form einer Namensunterschrift, sondern auch mit der Formel Yo el rey. Diese Fassung ist von Karl V. auf Urkunden für Empfänger im spanischen Machtbereich ebenfalls angewandt worden, sodaß wir unter ihm eine nach Empfänger unterschiedliche Praxis beobachten können . Auf Urkunden, die im Namen des Kaisers, aber in seiner Abwesenheit ausgestellt wurden, finden wir die lateinische Unterschrift seines Stellvertreters Ferdinand . Daneben ist von Martino il Vecchio , Alfons V. und Ferrante die Form Rex mit abgekürztem Namen bekannt .
Auch von Prinzen und Beamten wurde dieser Brauch der Unterzeichnung mit Namen nachgeahmt . Auf Notariatsurkunden finden sich teilweise autographe Unterschriften der Zeugen, die dann in der Regel subjektiv formuliert sind. In den Königsurkunden und in vielen Privaturkunden des Raumes nördlich der Alpen werden die Zeugen zwar in Listen aufgezählt, von einer eigenhändigen Beteiligung kann aber in den allermeisten Fällen nicht die Rede sein. Dies ist natürlich ein Sachverhalt, der auch auf die unterschiedliche Verbreitung der aktiven Schriftbeherrschung in Italien und in Deutschland zurückzuführen ist. Hinzu kommt, daß in der deutschen Königsurkunde die Zeugenliste zum Bestandteil des Urkundenformulars geworden ist — ähnlich in den entwickelteren Privaturkunden — ; damit fällt sie zunehmend in die direkte Zuständigkeit der Kanzlei und eine persönliche Beteiligung der Zeugen kann unterbleiben. Dabei folgt man in der Anordnung der Zeugen bestimmten Regeln, die sich an der protokollarischen Stellung orientieren. Geistliche gehen, sofern sie sonst ranggleich sind, den Laien voraus, am Ende der Listen rangieren die Ministerialen. Über die Beachtung der Reihenfolge äussern sich auch die Autoren der Ars dictandi. So stellt die Sächsische Summa prosarum dictaminis die differencia personarumals Kriterium für die Zeugenlisten von Privilegien fest. Sind Kleriker und Laien gemeinsam als Zeugen zu nennen, so seien zunächst die Kleriker in der Rangfolge ihrer dignitates anzuführen. Die Laien seien ebenfalls in Beachtung ihres unterschiedlichen Ranges zu nennen : ut ducem comiti anteponas. Rechtsstellung und Stand seien auch bei freien Herren und Ministerialen, bei Vasallen und Knechten zu beachten : Condicionis etiam ordinem observabis inter liberos dominos et ministeriales dominos, et vasallos liberos atque servos. Subjektiven und objektiven Unterschriften geht fast immer ein Kreuz voraus, das natürlich auch der individuellen Gestaltung Spielraum gibt. Häufig sind die Kreuze der eigenhändigen Unterschriften auch graphisch aufwendiger als die Zeichen derjenigen, die es nur vor die vom Notar herrührende objektiv formulierte Unterschrift signum manus ... setzen. Im Süden Italiens finden sich auch noch weitere Kreuze am Ende der Unterschrift.
Kreuze vor der Nennung der Namen der Aussteller bzw. der Vertragsparteien , die am Anfang der Urkunde stehen, waren in Ergänzung der Bestimmungen Justinians durch die Novelle 72 des byzantinischen Kaisers Leon VI. gemeinsam mit der trinitarischen Invocatio Εν ονοματι του πατροσ etc. als wesentliche Bestandteile für die Gültigkeit der Urkunde festgelegt worden . Die Kreuze gehörten ebenfalls zum Standard bei den Unterschriften der am Ende der Urkunden unterschreibenden Zeugen. In der Zeit des Patriarchen Nikolaos III. Grammatikos (1084 - 1111) von Konstantinopel wurde dagegen Kritik laut und die Verwendung des Kreuzzeichens offensichtlich als sündhaft angesehen. Daraufhin wurde festgelegt, daß auch für Priester das eigenhändige Unterzeichnen mit einem Kreuz keine Sünde sei und dies später auch für höhergestellte Kirchenleute konstatiert. Mit der Entwicklung des feierlichen Privilegs unter den Reformpäpsten treten auf deren Urkunden die Unterschriften der Kardinäle zu der des Papstes hinzu. In der Mitte des Eschatokollteils steht die Papstunterschrift zwischen Rota auf der linken Seite und Benevalete auf der rechten Seite. Unter dem Papst unterschreiben die Kardinalbischöfe , in der linken Spalte die Kardinalpriester und in der rechten Spalte die Kardinaldiakone . Die Unterschriften sind innerhalb der einzelnen Ordines nach Anciennität geordnet. Lücken sind keine Seltenheit, da wegen des mehr oder minder großen autographen Anteils an der Unterschrift die Absenz eines Kardinals dazu führen mußte, daß sein Platz frei blieb. Gründe dafür können kirchenpolitische Aufgaben, Aufträge des Papstes, aber auch Krankheit sein. Da die Kardinäle auf den feierlichen Privilegien, die in der päpstlichen Kanzlei hergestellt wurden, an jeweils genau bestimmter Stelle zu unterschreiben hatten, sofern sie anwesend und nicht sonstwie gerechtfertigt verhindert waren, lassen sich die Veränderungen in der Präsenz der Kardinäle in den Zeugenlisten der Privilegien recht gut beobachten . Daher sind diese Unterschriftslisten für die biographischen Daten der Kardinäle auch schon seit langem ausgewertet worden.
Signa tabellionis , Notariatssignete, Signum: schon die Termini Signum und Signumzeile verweisen auf zeichenhafte Eintragungen in den Urkunden. Dabei ist das Signum des Herrschers nur eine Form von möglichen Zeichen einer gewissen Entwicklungsstufe; komplexere Formen zeigen meist auch die signa von Tabellionen (Notaren) oder Richtern , während die Kreuze, die als Zeichen sogut wie immer vor den Unterschriften von Zeugen stehen, zwar individuellen Duktus verraten, graphisch aber nur in bestimmten Fällen aufwendiger gestaltet sind: so bei den Kardinalsunterschriften in den päpstlichen Privilegien, wobei auch das Doppel-S von subscripsi ornamental gestaltet wird . Hand- und Wortzeichen können hier eine Verbindung eingehen.

© Horst Enzensberger 2002
Letzte Änderung am 6. Dezember 2003