Ringvorlesung: Zeichen 27. Mai 2002
Titulaturen
Stellung in der Intitulatio —
Herrschernennung in der Datierung
Zu den Fragen, die in der internationalen Politik eine Rolle spielen
konnten, gehörten diejenigen Titel, mit denen sich auch Herrscher
schmückten , die nur irgendwie geartete, meist dynastisch
begründete Ansprüche erhoben, aber keine realen Rechte und
konkrete Herrschaft ausüben konnten. Der Titel war hier ein
Instrument der politischen Propaganda, was nun allerdings schon seit der
Spätantike so verstanden worden war und auch von den Franken zum
Beispiel gegenüber den Langobarden 788 in einem Vertrag geltend
gemacht wurde - die Langobarden hatten in ihren Privaturkunden des
fränkischen Königs Erwähnung zu tun. Auch in der Folgezeit
spiegeln die Urkunden aus dem südlichen Italien, soweit sie erhalten
und überliefert sind, in den Fremdaussagen die wechselhaften
politischen Verhältnisse wieder. Die Nennung von Herrschernamen in
Urkunden wurde auch als wichtiges Element der praktischen Politik
angesehen. Dies betraf sowohl Fragen der Souveränität über
ein Territorium als auch Fragen der Legitimität. Dies können wir
sowohl in der eigentlichen Urkundenüberlieferung beobachten, finden es
aber auch in der auf Urkunden bezogenen Gesetzgebung oder in anderen
Quellen, z.B. historiographischer Natur, die uns über Urkunden
berichten.
Zu beachten ist bei der Interpretation die von Herwig Wolfram genauer
entwickelte Unterscheidung von Selbstaussage in der Intitulatio
der Urkunde sowie der Fremdaussage, die sich sowohl in der
Urkunde des Ausstellers findet, vor allem in der Datierung, in der alle
Kanzleien in der Regel die Verwendung der 1. Person, ob im Singular oder
im Plural, aufgeben und dafür eine objektivierte Form in der 3.
Person anwenden , als auch vor allem in den sogenannten Privaturkunden, in
denen im Regelfall der Herrscher im Zusammenhang mit der Datierung
erwähnt wird. Dabei konnte die Gültigkeit der Urkunde im
prozessualen Sinne, d.h. vor allem ihre Anerkennung als Beweismittel, oft
davon abhängen, daß in dem jeweiligen Dokument die richtigen,
d.h. von der gerade herrschenden Macht anerkannten Namen standen. Im
Mittelalter führte dies oft zu entsprechend korrigierten
Neuausfertigungen ; in jüngster Vergangenheit ist etwa die
Unkenntlichmachung des Hakenkreuzes in Schriftstücken und Akten der
Nazizeit oder ein vergleichbarer Umgang mit den Symbolen einer
sozialistischen Vergangenheit als moderne Variante der damnatio
memoriae anzuführen.
Waren die spätantiken
Protokollvorschriften des Römischen Rechts noch von fiskalischen
Interessen geprägt — die Papyrusstücke mit den Namen des
bzw. der Kaiser und Konsuln mußte gegen Zahlung einer Gebühr
erworben werden —, so scheint in den uns genauer bekannten
mittelalterlichen Beispielen Realpolitik und politische Propaganda
demgegenüber im Vordergrund zu stehen. Dies galt schon für die
Vereinbarungen von 788 zwischen Karl dem Großen und dem
langobardischen Herzog Grimoald von Benevent, die die Nennung des
Frankenkönigs in den beneventanischen Urkunden, aber auch auf den
Münzen verlangten . Wir besitzen allerdings nicht den Wortlaut des
Vertrages, sondern kennen den Vorgang aus dem Bericht Erchemperts. In den
folgenden Jahrhunderten ist etwa die Erwähnung des byzantinischen
Kaisers in süditalienischen Urkunden neben der Verwendung
byzantinischen Geldes bis in die ersten Jahrzehnte der normannischen
Herrschaftsgründungen hinein ein interessantes Indiz für die
politischen Realitäten und Vorstellungen.
Unter Friedrich II. kam es
im Königreich Sizilien aufgrund der Bestimmungen von LA II.28, die
wohl zum Kernbestand der Konstitutionen von Melfi und nicht zu den Novellen
zu rechnen ist, zu teilweise umfangreichen Abschriftenaktionen, bei denen
mißliebige Namen wie der des letzten Normannenkönigs Tankred
unterdrückt wurden . Eine vergleichbare Maßnahme hat es bereits
unter seinen normannischen Vorgängern gegeben, wie LA II.27, eine
Vorschrift König Wilhelms, zeigt, in der die Verbrennung von Urkunden,
in denen die Namen von Feinden, Verrätern oder invasores regni genannt
waren, angeordnet wurde, also ein typischer Vollzug der damnatio memoriae .
Daß gleichzeitig auch die Erneuerung solcher Urkunden angeordnet
wurde, die in “unleserlicher Schrift” geschrieben waren, womit vor allem
die sogenannte Kurialschrift der Tabellionen in Neapel, Amalfi und Sorrent
gemeint war, sei nur am Rande bemerkt .
Die Herrscherdatierung hat auch in
der Kriteriendebatte der Kanonisten ihren Platz gefunden: Gottfried von
Trani, der neben Papsturkunden auch öffentliche Instrumente behandelt,
nennt unter den Echtheitskriterien die Angabe des Namens des Kaisers, der
Regierungsjahre von Kaiser und Magistraten, was auf die Verhältnisse
der italienischen Kommunen gerichtet ist, zugleich aber die fortgeltende
Wirkung der Vorschriften Justinians zeigt : item suspectum est instrumentum
publicum, si non sit in eo nomen imperatoris ... . Es nimmt daher nicht
Wunder, daß auch die Päpste dieser Frage immer wieder ihre
Aufmerksamkeit schenkten. Zum Problem wurde für sie der Titel des rex
Sicilie , den auch Friedrich III. für sich beanspruchte, was ihm aber
den entschiedenen Widerspruch des Papstes Benedikt XI. einbrachte, der ihm
allenfalls den Titel eines rex Trinacrie zugestehen wollte, wobei der
antike , griechische Name der Insel zur Bezeichnung hervorgeholt wurde,
weil der damals eigentlich übliche geographische Begriff Sicilia im
Verständnis der Zeit zu eng mit dem Königreich Sizilien und damit
auch mit dessen unteritalienischen Teilgebiet und der angiovinischen
Herrschaft in Verbindung gebracht wurde. Dem Anspruch auf die Insel, der
in dem von den Königen in Neapel beibehaltenen Titel des rex Sicilie
natürlich auch mit enthalten war, trat der Papst allerdings nicht
entgegen, obwohl sich ja die Parteien im Frieden von Caltabellotta 1302 auf
eine Beendigung des Krieges der Vesper (Guerra del Vespro) geeinigt hatten
.
Die Geschichte des sizilischen Königstitels kann an dieser Stelle
nicht weiter verfolgt werden; auch die Entwicklung, die zur
Standardisierung eines dreiteiligen, territorial definierten
Herrschaftstitels im normannischen Königreich geführt hat, ist an
dieser Stelle nicht im Einzelnen darzustellen. Immerhin hat die
Auseinandersetzung mit dem Papst zur Konsolidierung dieser Titelform
geführt, die Roger II. jedoch bereits vor seinen Vereinbarungen mit
Innocenz II. im Vertrag von Ceprano durch seine Kanzlei einführen
ließ. Dies darf man wohl als politische Vorleistung ansehen, die
allerdings auch den Vorstellungen des normannischen Königs über
die Gliederung seines Reiches entsprochen haben kann, eine Gliederung, die
im Grunde die historische Zusammenfügung der unteritalienischen
Teilreiche zu einem einheitlichen Staatsgebilde widerspiegelt.
Nach dem
Italienzug Ludwigs des Bayern ließ Papst Johannes XXII. untersuchen,
ob die Namen des von ihm nicht anerkannten Kaisers oder gar der des
Gegenpapstes von den Anhängern Ludwigs in den Urkunden verwendet
worden waren. Wir kennen dies aus Akten, die in Todi entstanden sind: Item
si per se vel per alios fuerunt causa vel dederunt operam, ut nomina Bavari
et antipapae ponerentur in confectione instrumentorum et non poneretur
nomen domini Johannis pape XXII sancte ecclesie veri sponsi . In der Liste
der Inquisitionsfragen steht der Abschnitt nach den zeremoniellen Fragen
über den Empfang des Kaisers in Todi, die feierliche Unterwerfung und
Herrschaftsanerkennung, Gemeinschaft mit Häretikern und Verletzung des
Interdikts, aber vor der Frage nach der Entrichtung von Steuern und
Abgaben. Mag diese Quelle auch vom Zufall der Überlieferung
mitgeprägt sein, so ergibt sich aus ihr doch die Hochschätzung
des immateriellen Wertes dieser Form der politischen Anerkennung.
© Horst Enzensberger 2002
Letzte Änderung am 5. Dezember 2003